Uns gehen so langsam die Flueche aus. Mimi und ich verrohen zusehends, seitdem wir in Auckland wiedervereint wurden. Inzwischen ist aus einem ganz normalen Apfel “einer deiner gottverdammten Drecksaepfel” geworden und aus freundlichen Hostelgaesten, die uns kennenlernen wollen- der Feind. Lasst es euch sagen: Hostels machen rassistisch. Amerikaner sind alle aufdringlich, Franzosen machen Dreck, Schweden koennen uns mit ihrer guten Laune mal sonstwo und am allerallerschlimmsten sind sowieso schonmal die Deutschen. Spiessiges Touripack…
Ich fuehle mich wie Gesindel. Seit drei Tagen ungeduscht und ungekaemmt bin ich wieder in Auckland aufgeschlagen. Was sich an den Westkuestenstraenden, an denen Mimi und ich gecampt haben, ganz natuerlich und very Surfer angefuehlt hat, ist mir jetzt grenzwertig peinlich. Ich will keinen Sand mehr am Boden sehen, nachdem ich meine Haare ausgeschuettelt habe! Ich will wieder ohne Scheu Menschen passieren koennen, ohne befuerchten zu muessen, dass die danach die Nase ruempfen! Wie konnte es nur soweit kommen???
Wir rekapitulieren:
Am 20. Dezember habe ich Ahipara verlassen und Mimi in Auckland in dem reizenden kleinen Backpacker City Garden Lodge getroffen. Es erfolgte ein Update (“Hast du NICHT…!?”, “GAAAAH!” , “Ist das denn legal??” , “AEH-aeh???”, “NUIN! Und dann?”, “GAAAaaahhh!!!”). Es steht jetzt zwei zu zwei.
Auf meinen dringlichen Wunsch nach Zivilisation hin gingen die Mipf und ich dann erstmal in Harry Potter. Nach dem Film und einer Packung widerlicher Orangen M&Ms von Cadburry (WER MACHT SOWAS???? WER UMMANTELT DAS SCHOENSTE DAS ES GIBT AUF DER WELT MIT ORANGE??? UND SCHREIBT DAS DANN NICHT AUSDRUECKLICH AUF DIE PACKUNG?!?!?! Nicht, dass ich sie nicht aufgegessen haette. Aber genossen hab ichs nicht.) konnte ich nicht genau sagen woher meine leichte Uebelkeit ruehrte. Aber der Film hat definitiv dazu beigetragen. Und da waren sechsjaehrige Kinder im Kino! Da verkrumpelt eine alte Frau, die sich als verkleidete Schlange rausstellt, auf offener Leinwand!! Ich hatte Albtraeume danach, von meiner neurotizistisch veranlagten Schwester ganz zu schweigen- wie muss es dann erst diesem unschuldigen, kleinen Rotschopf ergangen sein? Oder sind die Goeren heutzutage schon so abgebrueht? Ich hab die Eltern- wenigstens ja noch anwesend!- jedenfalls ein bisschen misanthrop angestarrt.
Eigentlicher Anlass unserer Rueckkehr nach Auckland war ja der Autokauf. Gottseidank sind Mimi und ich technisch versiert und pfeifen auf Harmonie, weswegen wir ausgefuchste Feilscher sind.
Nicht.
Wir sind jetzt jedenfalls Eigentuemer eines roten Vans mit Sternenhimmeldach. Ei! Und sie heisst Emma!
Die Tage in Auckland waren eigenartig. Mimi und ich sind von regelmaessigen Lachanfaellen in Catfights in tiefsinnige Gespraeche in betrunkenes Ich-hab-dich-sooo-lieb-Gelalle getaumelt und haben darueber irgendwie ganz vergessen, unsere Plaene fuer Weihnachten und die Zeit danach auszuarbeiten (oder ueberhaupt mal darueber zu reden). Und so kam es zu dem jetzt schon legendaeren Katastrophenweihnachtsabend, der im Stau stehend begann und betrunken unterm Skytower endete. Das war so: Wir zum Strand, Riesenstreit, weil Regen und ich surfen, und Mimi mit der Gesamtsituation unzufrieden und ich hochungeduldig. Dann versoehntes Erdbeereisessen auf dem Weg nach Hause, dann: Mimi duscht. Ich dusche. Mimi duscht. Ich zieh mich an. Mimi duscht. Ich bin geschminkt. Mimi duscht. Ich haeng die Waesche ab. Mimi duscht. Ich verstau mein Surfboard. Mimi duscht. Ich entzause meine Haare. Mimi duscht. Ich mach mir nen Tee. Mimi duscht. Ich telefonier ein bisschen nach Deutschland. Mimi duscht. Ich schau dem Sonnenuntergang zu. Mimi duscht. Raaahhh….
Dann hingen wir von ca. 9pm bis 11pm im Verkehr fest. Als wir schliesslich einen Parkplatz gefunden hatten, war Mimi immer noch stinksauer auf mich (sie hatte ihre Gruende) und ich hatte furchtbar Angst. Ich dachte mir, ich fuell die Alte ab, dann kann aus dem Abend noch was werden. Drei Jaegerbombs spaeter und mehr Angeboten von glatzkoepfigen Asiaten und zahnlosen Iren, als nuechtern ertragbar gewesen waeren, legten wir uns schliesslich in unserem Auto unterm Skytower schlafen. Mitten in Auckland. Am Weihnachtsabend. Unser Weihnachtsessen: Peanutbuttersandwiches, Salt and Vinegar Ricecrisps und viel Wasser. Unsere Weihnachtsmusik: Eminem (not a bad thing!). Unsere Weihnachtsgeschenke: einseitig verteilt. Saed….
Aber: das war dann auch der Tiefpunkt. Am naechsten Tag machten wir uns auf, um endlich richtig zu campen. Wir hatten zwar weder Kuehltasche, noch Campingkocher, aber jede Menge Leinsamen und Mintkekse. Hauptsache das! Ganz ehrlich, wir zwei sind die GROESSTEN NULPEN die die Welt je sah.
Piha, Kare Kare und Muriwai sind unwahrscheinlich schoene Straende westlich von Auckland. Ich liebe jeden einzelnen von ihnen und schwoere: ich werde zurueckkommen und eine dieser Haeuser-Wellen surfen!! Noch habe ich mich nicht getraut. Aber es war schoen zu sehen, dass ich inzwischen wenigstens mit den zehnjaehrigen Kiwis mithalten kann. (GRRRRR)
Ich bin mit einer Schwester gesegnet, die so facettenreich ist, dass ich selbst nach 21 Jahren der intensiven Beschaeftigung mit dieser Person immer noch von ihr ueberrascht werde. Die Frau ist einfach alles. Vom unschuldigen Engelchen, das jeden Hostelbesitzer um den Finger wickelt, zur gefaehrlichen Kleinkriminellen, die Hostelcomputer verstopft, weil sie versucht, mit 2-Euro-Stuecken ins Internet zu kommen. Vom maennermordenden heissen Schlitten, zur hoffnungslosen Romantikerin. Sie ueberrascht einen mit den besten Pancakes der Welt, klaut einem andererseits aber alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Waeschekoerbe, Handtuecher, Lipgloss, T-shirts, Taschen… (und glaub nicht, dass ich nicht durschaut haette, wie du versucht hast, meine Muetze zu klauen, indem du sie in die eine Box gesteckt hast, als haettest du sie nur “aufgeraeumt”!!!). Sie lacht sich schief, wenn fuer Nichtigkeiten uebermaessiger Aufwand betrieben wird (z.B. wenn sich jemand, der nur ein Haar hat, einen Lockenwickler eindreht) und faengt sofort an zu heulen, wenn man ihr ein bloedes Gedicht schreibt. Wenn sie jemanden absolut nicht leiden kann, ist sie besonders nett zu dieser Person und wenn man sie verletzt, dann wird man das nie merken. Sie fuehlt sich keinem Menschen auf der Welt moralisch ueberlegen und findet fuer alle und jeden eine Entschuldigung. Unsicher in Bereichen, in denen es ueueueueberhaupt keinen Grund dafuer gibt, absoluter NARZISS, wenn es um ihre Fahrkuenste, ihr Franzoesisch oder ihren eigenen Humor geht. Um jeden ihrer Freunde so ehrlich besorgt, dass ich mich manchmal frage, ob die betreffenden Personen sich selbst ueberhaupt so viele Gedanken um sich machen, andererseits so wenig fordernd und ebenso ehrlich ueberrascht, wenn ihrer Person Interesse entgegengebracht wird. Liegt es daran, dass ich ihr so nah bin, dass ich meine Schwester absolut undefinierbar finde? Nicht Tussi, nicht alternativ, nicht karrieregeil, nicht intellektuell, nicht Partygirl, nicht graue Maus, nicht Freigeist, nicht mainstream, nicht Couchpotato, nicht Energiebuendel,nicht naiv, nicht abgebrueht, nicht lieb, nicht kalt, nicht Stadtmensch, nicht Naturbursche, sondern wirklich, wirklich alles, alles zusammen. Es muss an ihren Haaren liegen. Wo sonst sollte sie so viel Persoenlichkeit unterkriegen? Jedenfalls wuerde ich, wenn ich sie heute kennenlernen wuerde, wollen, dass wir Freunde werden.
Zurueck zum Sand in den Haaren und den mangelnden Duschen (btw: Salzwasser desinfiziert). Inzwischen ist beides aus der Welt geschafft und Mimi ist- weg. Nie gedacht, dass mir das so nahe gehen wuerde. Laecherlich, denn wir sehen uns garantiert bald wieder. Aber ich vermisse sie jetzt schon, als waere der ganze Spass mit einem Puff aus meiner Resie ver- aeh…pufft, halt. Sie ist mit der Emma weiter Richtung Osten, ich musste wieder ins schnoede Auckland zurueck, weil….. *Trommelwirbel*
*Tusch!*
ich doch noch fuer das Praktikum in Madagaskar zugelassen wurde! Ein gewisser Anthony kann seinen Platz nicht wahrnehmen und jetzt laesst der WWF mich nachruecken. Seitdem ich das gehoert habe schwanke ich zwischen
– absoluter Euphorie, weil Tierschutz! Madagaskar! WWF!
– Panik, weil dritte Welt! In einem Monat! Malaria! Typhus!
– Herzschmerz, weil Surfen?! Suedinsel?! Kiwis?!
– Entnervtheit, weil Flugticket! Impfung! Moskitonetze!
– Anspannung, weil Herausforderung! Malagasy-Lernen?! Top-End-Mitarbeiter!!
und so weiter. Ich habe heute acht Stunden vorm Computer verbracht, und das nur um das Noetigste zu klaeren, um ueberhaupt nach Madagaskar einreisen zu duerfen. Jetzt muss ich mich durch einen Stapel Buecher und Papers arbeiten, um da nicht anzukommen und die berechtigte Frage gestellt zu bekommen, was genau MICH dazu qualifiziert, einem Eingeborenen Malagassen zu erklaeren, welche Baeume er pflanzen soll. Aber- ich will das. Die Leute, mit denen ich arbeiten werde, sind genau die Art cleverer Hard-Core-Prinzipienreiter, zu denen ich immer gehoeren wollte. Null Illusionen bei maximaler Motivation, die Welt zu retten. Herzlichen Dank, ich bin am Start.